Taxi Bochum

Diese phänomenale Direktheit der Menschen in unserer Gegend offenbart sich besonders, wenn man in dieser Gegend unterwegs ist. Zum Beispiel mit dem Taxi.

Es gibt unterschiedliche Arten von Taxifahrern. Da wäre zum Beispiel der fürsorgliche Typ. Eines Nachts vor etwa fünfzehn Jahren bestieg ich ein Taxi im Bermudadreieck in Bochum und wollte mich zu meiner Wohn-Kaschemme an der Castroper Straße bringen lassen. Der Fahrer war ein vierschrötiger Mittfünfziger mit interessanten Mondkratern im Mare Crisium seines fleischigen Gesichtes. Ich hatte einigermaßen was weggebechert in den letzten Stunden und jetzt folgerichtig Hunger. Also bat ich den Mann, noch schnell bei der amerikanischen Hackfleischbrötchenschmiede am Hauptbahnhof Halt zu machen.

»Nee, mach ich nich!«

»Wie meinen?«

Schweigen.

»Klar, wenne wills, marich datt, aber überleech doch mal! Du biss blau und du biss müde. Dat Erste weisse schon, datt Zweite wird klar, sobald du dein Bett siehs. Da brauchsse doch nix mehr inne Backen! Und schon gar nich diesen Drecksfraß! Denk doch mal nach!«

Ich dachte mal nach. Eigentlich hatte er recht. Aber eigentlich könnte der VfL Bochum auch Deutscher Meister sein. Und eigentlich hätte die Kellnerin im Jago vorhin nicht so unwirsch reagieren müssen, als ich sagte: »Komm, lass poppen gehen!«

Vor dem Essen nachzudenken ist aber ungefähr so blöd wie vor dem Tor nachzudenken, ob man den Ball mit rechts, mit links, mit dem Kopf, dem Knie oder dem Geschlechtsteil reinmachen soll, und noch bevor ich mich zu irgendwas entschließen konnte, waren wir auch schon am Bahnhof vorbei. Fünf Minuten später standen wir vor meiner 45-Quadratmeter-Junggesellenbude mit Blick aufs Planetarium und der Taxifahrer ging sogar um den Wagen herum und hielt mir die Tür auf.

Er fingerte den Hausschlüssel aus meiner Jackentasche und brachte mich in die Wohnung. Ich fand es zwar etwas übertrieben, dass er mir die Zähne putzte, aber dass er mich zudeckte, fand ich richtig nett. Und die Geschichte, die er mir vorgelesen hat, hat mir wirklich geholfen einzuschlafen.

Aber so nett ist es natürlich nicht immer. Eine andere Art von Taxifahrer ist der aufgekratzte Dampfplauderer, bei dem man nicht weiß, was er überhaupt sagen will, der sich selbst aber für einen steten Quell der Weisheit hält: »Und, bisse datt erste Mal in Bochum? Ach, du wohnz hier? Is nich schön, ne? Abba sollich dir ma watt sagen? Woanders is au scheiße! Bin ich ma gewwesen, kannze vergessen! Weisse eigentlich, datt im Ruhrgebiet der Tod die häufigste Ursache is, datt die Menschen sterben? Datt muss man sich ma vorstellen, datt glauben die jungen Leute ja übbahaupt nich. Kumma, mein Schwager, ne? Dem hammse getz datt linke Bein abgenommen, dabei hat der nie geraucht! Naja, war auch n Aabeitsun-fall, abba wer weiß datt schon so genau! Andererseits: Watt machen wir getz mit die ganzen Aabeitslosen? Bei denen is doch nix los, die hamm ja nich ma Unfälle! Watt machen die den ganzen Tach? Hasse eigentlich watt gegen Ausländer? Ich meine watt, watt wirklich hilft? Der is gut, ne? Zwölffuffzich, abba denk dran, ich hab Familie!«

Dann gibt es da den gesellschaftskritischen Typen, der sich tiefschürfende Gedanken zum Beispiel über die Gender-Problematik macht. So einer verwickelte mich mal in ein Gespräch über die Liebe und die Frauen.

»Wissen Sie eigentlich, woran datt licht?«

»Der Stau?«

»Der auch. Aber ich meine datt allgemeiner. Dem Elend. Dem Elend in diese Welt?« »Am FC Bayern?« »Scheiße, nein. Anne Weiber!« »Echt?«

»Hass du in deinem ganzen Leben auch nur eine ehrliche Frau getroffen?« Auf vertrautem Terrain wurde offenbar geduzt.

»Naja, da war mal eine in Bad Salzuflen ...«

»Ich nicht. Die haben doch heute allet im Griff, die Weiber, sonst würd ich nich Taxifaahn. Vielleicht war ich Profifußballer oder Astronaut. Die Weiber haben doch allet im Griff. Und die Welt is immer noch Scheiße.«

In mir erwachte sofort das starke Bedürfnis, all die Frauen aufzusuchen, die ihm die Jobs als Profifußballer oder Astronaut streitig gemacht hatten, und ihnen ausdauernd die Hand zu drücken.

Wunderschön ist es auch, wenn sich die Minderheiten gegenseitig fertigmachen. So hatte ich mal einen jungen türkischen Chauffeur, der sich nach dem Mauerfall Sorgen um sein Deutschland machte: »Was du können mir sagen über Russen, hä? Was machen Russkis in unser Deutschland, hä? Nammen Arbeit weg, zahlen keine Steuern, nämmen Frau weck, schicken Nutte dafür, klauen Auto und verkaufen nich ma Doner! Hast du schon gegessen russisch? Kannssu vergessen, ist wie Scheiße, schmeckt alles wie geklaute Auto!«

Wer will da noch mit dem eigenen Auto fahren?

 

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